Predigten Dezember - Ev.-luth. Christus-Gemeinde Spetzerfehn

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Predigten Dezember

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Eine schriftliche Version der heutigen Predigt liegt leider nicht vor. Wir wünschen viel Spaß mit der Audioversion.

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Predigt über Lukas 1,26-38; 4. Sonntag im Advent, 18.12.2016

 
Liebe Gemeinde, bald werden wir mit den altvertrauten Worten der Weihnachtsgeschichte wieder hören, wie es war, als Jesus geboren wurde: Maria und Josef, die Geburt im Stall, der Gesang der Engel und der Besuch der Hirten.  Heute geht es nun um die Vorgeschichte. Ich lese uns aus Lukas 1, 26-38:  

 
Als Elisabet im sechsten Monat war, sandte Gott den Engel Gabriel nach Nazaret in Galiläa zu einem jungen Mädchen mit Namen Maria. Sie war noch unberührt und war verlobt mit einem Mann namens Josef, einem Nachkommen Davids. Der Engel kam zu ihr und sagte: „Sei gegrüßt, Maria, der Herr ist mit dir; er hat dich zu Großem ausersehen!“ Maria erschrak über diesen Gruß und überlegte, was er bedeuten sollte. Da sagte der Engel zu ihr: „Hab keine Angst, du hast Gnade bei Gott gefunden!  Du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären. Dem sollst du den Namen Jesus geben.  Er wird groß sein und wird ‚Sohn des Höchsten‘ genannt werden. Gott, der Herr, wird ihn auf den Thron seines Ahnherrn David erheben, und er wird für immer über die Nachkommen Jakobs regieren. Seine Herrschaft wird nie zu Ende gehen.“   Maria fragte den Engel: „Wie soll das zugehen? Ich bin doch mit keinem Mann zusammen gewesen!“  Er antwortete: „Gottes Geist wird über dich kommen, seine Kraft wird das Wunder vollbringen. Deshalb wird auch das Kind, das du zur Welt bringst, heilig und Sohn Gottes genannt werden. Auch Elisabet, deine Verwandte, bekommt einen Sohn, trotz ihres Alters. Sie ist bereits im 6. Monat, und es hieß doch von ihr, sie könne keine Kinder bekommen. Für Gott ist nichts unmöglich.“  Da sagte Maria: „Ich gehöre dem Herrn, ich bin bereit. Es soll an mir geschehen, was du gesagt hast.“ Darauf verließ sie der Engel.

 
Ich gehöre dem Herrn, ich bin bereit. Es soll an mir geschehen, was du gesagt hast.‘
Starke Worte sind das, die Maria hier spricht! Was ist das für ein Mädchen?  Wir wissen gar nicht viel von ihr, nur weniges aus ihrem bisherigen Leben ist überliefert – und das ist kein Wunder, es ist ja noch nicht so viel passiert, sie ist ja wahrscheinlich erst so 13, 14 Jahre alt, also im besten Konfirmandenalter, und ihr jüdischer Name ist Miriam.  Miriam, Maria  kam aus Galiläa, einer kleinen Provinz im Norden des Landes, aus einem kleinen Ort namens Na-
zareth. Die Menschen dort lebten von einfacher Arbeit: Obst- und Weinbau, Ziegen hüten, Töpfern, Weben, Zimmern.  Dass Maria mit 13 oder 14 Jahren schon verlobt war, klingt für unsere Ohren sehr merkwürdig – müsst ihr euch mal vorstellen, liebe Konfirmandinnen, dass ihr schon verlobt seid. Aber damals war das nicht ungewöhnlich – da kümmerten sich alle Eltern drum, dass sie für ihre Töchter früh genug jemanden aussuchten, der es gut mit ihnen meint und ihnen Sicherheit gibt. Und so war Miriam, Maria, dem Josef versprochen, so war es abgemacht. Noch aber lebte sie im Haus der Eltern, half der Mutter bei der Wäsche, dem Kochen, beim Ziegen melken und allem, was so anfiel.  Was hat sie wohl vom Leben erwartet?  Welche Vorstellungen hatte sie wohl von ihrer Zukunft?  Klar war, dass sie irgendwann den Josef heiraten würde – und vielleicht träumte sie schon davon, wie das dann sein würde: mit ihm zu leben, ihm das Essen zu bereiten, mit ihm den Raum zu teilen, Kinder zu bekommen.

 
Es ist gut, wenn wir vom Leben etwas erwarten! Wer nichts vom Leben erwartet, ist eigentlich schon irgendwie tot. Und je nachdem, wie alt wir sind, sind auch unsere Erwartungen unterschiedlich. Wenn ich 15 bin, habe ich andere Pläne, als wenn ich 65 bin, mit 30 erwarte ich andere Dinge vom Leben als mit 75 und mit 20 habe ich andere Ziele als mit 45. Unser Leben hat verschiedene Phasen und in jeder Phase hat man wieder andere Dinge, die man erreichen möchte und auf die man hinarbeitet. Maria hatte ihr ganzes Leben noch vor sich und sicher wird sie überlegt haben, wie es werden soll.  Und dann stand plötzlich der Engel vor ihr. Mit einer Nachricht, die ein echter Schock war: ‚Maria, du wirst ein Kind bekommen, einen Sohn!‘  Das könnt ihr euch sicher gut vorstellen, wie ihre Gedanken angefangen haben zu rattern: Ein Kind?! Wie soll das denn gehen?  Josef und ich haben noch nicht mal Händchen gehalten...  Und: Wie soll ich das schaffen? Ein Kind in meinem Alter? Ohne Vater! Alle werden mit Fingern auf mich zeigen!  Vielleicht schmeißen meine Eltern mich raus! Und natürlich wird Josef sich vom Acker machen!  Meine ganze Zukunft ist versaut, wenn ich jetzt ein Kind kriege und meine ganzen Pläne kann ich knicken!

 
Das, was Maria hier erwischt hat, ist eine echte Zumutung Gottes! Knall auf Fall, von gleich auf jetzt: Gott hat sie sich ausgekuckt – und sie soll nun ihre ganze Lebensplanung über den Haufen werfen,  um Teil Seiner Planung zu werden. Das, was Gott sich für diese Welt vorgenommen hat, dabei soll sie eine entscheidende Rolle spielen. Und dann geschieht das Erstaunliche: Maria kommt dahin, dass sie zu dem, was Gott ihr jetzt zumutet, dass sie dazu „Ja!“ sagen kann: ‚Ich gehöre dem Herrn, ich bin bereit. Es soll an mir geschehen, was du gesagt hast.‘

 
Ja sagen zu dem, was Gott uns zumutet. Maria kann das. Und ich muss sagen: davor habe ich echt Respekt! Davor habe ich Hochachtung, dass dieses junge Mädchen sich Gott so überlassen kann! Das ist nicht einfach, Gott die Zugangsrechte für das eigene Leben zu ge-
ben! Ihm das Sagen zu geben! Und das liegt oft an jeweils einem von zwei Gründen:
Der erste Grund ist der, dass wir normalerweise eher froh sind, wenn Gott uns in Ruhe lässt und sich nicht in unser Leben einmischt. Jedenfalls so lange alles in Ordnung ist. Dann können wir es gar nicht gut gebrauchen, dass Gott uns vielleicht zumutet, bestimmte Dinge anders zu sehen oder zu machen. Und wenn Er uns in Ruhe lässt, lassen wir ihn auch in Ruhe. Anders wird es oft, wenn wir irgendwie unter Druck kommen und in der Patsche sitzen. Dann fragen wir oft besonders intensiv nach Gott und bestürmen ihn mit unseren Wünschen.  Aber hat er dann tatsächlich eingegriffen und uns geholfen, dann flacht der Kontakt zu ihm oft erschreckend schnell wieder ab. Eine Zeitlang hat er eine hohe Priorität gehabt, aber nun wollen wir das Steuer unseres Lebens lieber wieder selber fest in der Hand halten und Gott soll da nicht zu viel Einfluss bekommen und nicht das komplette Zugangs-
recht.  

 
Aber es gibt auch einen ganz anderen Grund, der es uns schwer macht, Gott die Zugangs-
rechte für unser Leben zu geben oder sie ihm zu lassen – und wenn ich auf dieses Jahr zurückblicke, dann sehe ich etliche Menschen und Familien in unserer Gemeinde, bei denen es so war und ist: sie haben Gott die Zugangsrechte für ihr Leben gegeben! Haben ihm ihr
Vertrauen geschenkt! Leben mit ihm und in Seiner Gemeinde! Sie haben es genauso ge-
macht wie Maria: sie lässt ja Gott an sich handeln und stellt sich Gott mit ihrem Leben zur
Verfügung. Sie kann sagen: Mach es so mit mir, wie du es für richtig hältst! Aber dann kommt es ganz dicke: bei Maria kommt es so, dass sie in eine Lage kommt, die ihr die ganze Zukunft kaputt machen kann.  Bei Menschen unter uns ist es aus anderen Gründen ganz dicke gekommen: einige haben gemerkt, dass sie in dem Haus, in dem sie fast ihr ganzes Leben zugebracht haben, dass sie dort nicht mehr bleiben können. Weil es jetzt im Alter einfach viel zu groß geworden ist, und sie schaffen es nicht mehr, das Haus und den Garten
zu versorgen. Und sie sehen das als ganz große Zumutung vor sich, dass sie nun im Alter
noch einmal umziehen müssen – alles, was vertraut war, bleibt zurück und sie gehen
auf etwas zu, was komplett neu ist.   Von anderen weiß ich, denen wird zugemutet, dass sie nach menschlichem Ermessen kinderlos bleiben werden. Sie haben alles gegeben und alles probiert – vergeblich. Und jede Schwangerschaft bei Nachbarn, im Freundeskreis, in der Familie wird zur Qual – auf der einen Seite freuen sie sich ehrlich mit, aber auf der anderen Seite tut es einfach auch nur weh, dass ihnen das versagt bleiben wird.
Von einer Frau weiß ich, dass sie schon unheimlich was geleistet hat im Leben, sie musste sich immer durchkämpfen. Nun wurde ihr eine Arbeitsstelle angeboten – auf der einen Sei-te eine Herausforderung, aber auf der anderen Seite auch eine echte Chance: endlich was
Festes! In dem Bereich, den sie gelernt hat! Und gut bezahlt! Endlich etwas mehr Sicherheit!  Und sie hat sich dem gestellt, hat dafür was anderes aufgegeben. Und dann hat es sich
gezeigt, dass man sie auf der neuen Stelle nur ausgenutzt hat. Das, was man ihr versprochen hat, davon wurde nichts gehalten – und plötzlich stand sie mit Nichts da. Eine echte Zumutung für sie!  Und ich denke an die vielen, deren Lebensplanung platzte, weil eine schlimme Krankheit dazwischen kam. Alles haben sie gegeben, nach jedem Strohhalm gegriffen – aber am Ende stand das los-lassen-müssen und die Zumutung, das Leben noch einmal neu anzupacken.  Und andere, die jetzt gerade schlimm krank sind, haben genau das im Hinterkopf und nehmen das mit als Hypothek für ihre eigene Behandlung und Therapie – bei aller Hoffnung immer auch der Gedanke: bei der oder bei dem hat’s am Ende nicht geholfen.

 
Ich weiß nicht, ob es in diesem vergangenen Jahr besonders viele solcher Zumutungen gab oder ob ich im Laufe der Zeit einfach sensibler und empfindsamer dafür werde, aber mir kommt es so vor, dass immer mehr Menschen von Gott etwas zugemutet wird, was hammer-
hart ist. Und dass das oft gerade die Menschen sind, die wie Maria gesagt haben: „Gott, mir geschehe, wie du gesagt hast!“  Sie haben sich Gott überlassen und leben in Seiner Gegen-
wart – und dann kommt ausgerechnet auf sie eine solche Zumutung zu.  Dann kommt doch wie von selbst die Frage: wie passt das zusammen mit meinem Entschluss, Gott mein Leben zu überlassen? Und ich kann es so gut verstehen, dass Menschen sich dann so fühlen, dass Gott ihnen in den Rücken gefallen ist. Ich sehe es als ein Wunder an, dass solche Menschen dann wie Maria trotzdem ‚Ja‘ sagen zu diesem Weg, den Gott ihnen da zumutet.
"Mir geschehe, wie du gesagt hast." Ich weiß nicht, ob ich das so könnte!

 
Mitten in Marias unbeschwertes Leben als junges Mädchen platzt Gottes Zumutung.  Zweifel melden sich, Maria wehrt ab. Aber trotzdem hat der Zweifel nicht das letzte Wort bei ihr. In Maria wächst nicht nur ein Kind, sondern in ihr wächst auch das Vertrauen, hinter dem alle berechtigten Zweifel zurücktreten.

 
Es kann sein, dass Gott von Dir auch etwas möchte, obwohl Du dazu überhaupt keine Meinung hast. Es kann sein, dass Gott einen bestimmten Weg mit Dir gehen möchte, aber deine eigenen Pläne sehen vielleicht ganz anders aus – so wie es manche unter uns erlebt haben. Es kann sein, dass Gott dir etwas zumutet! Und dann kommen Zweifel und man denkt, dass man es nicht schafft!  Bei Maria war es so, dass der Engel ihr geholfen hat, dass sie ihre Zweifel überwinden konnte: Wenn der Engel ihr sagt, dass Gott sich durch sie verherrlichen will, dann will sie das auch glauben! Wenn der Engel ihr sagt, dass Gott in dem, was eigentlich unmöglich ist, einen Weg findet, dann will sie diesen Weg auch gehen! Wenn der Engel ihr von Gott sagt, dass Gott etwas mit ihrem Leben vorhat, obwohl es jetzt so aussieht, als sei ihr Leben verpfuscht, dann will sie auf dieses Leben zugehen!  Und von manchen von denen, die heute hier sitzen, weiß ich, dass sie auch solche Engel hatten, die ihnen Mut gemacht haben! Dass sie langsam dahin wachsen konnten, sich mit der Zumutung Gott zu überlassen. Und dass sie gemerkt haben: die Kraft, die von Jesus ausgeht, die berührt mich. Gibt mir die Kraft und die Zuversicht, die ich brauche.

 
Gott an uns handeln lassen, das ist die Haltung des Glaubens. Darin kann Maria uns
wohl ein Vorbild sein. Aber wir können sie nicht einfach nachmachen und imitieren. Wir müssen unsere eigenen Erfahrungen mit dem Glauben machen. Und manchmal sind das Erfahrungen, die unendlich viel Kraft und Tränen kosten! Der Glaube fällt uns nicht in den Schoß!  Und damit er überleben kann, brauchen wir wahrscheinlich auch so manchen Engel!
Egal wie – Gott selbst muss dafür sorgen, dass unser Glaube nicht einknickt! Dass wir Ihm unser Vertrauen nicht aufkündigen! Wir selber kriegen das aus eigener Kraft nicht hin!
ER muss uns bei der Stange halten – damit wir dann, wenn’s drauf ankommt, wie Maria sprechen können: "Mir geschehe, wie du gesagt hast."  Amen.

 


Eine schriftliche Fassung der heutigen Predigt liegt uns leider nicht vor. Wir wünschen viel Spaß bei der Audioversion.

    
Lukas 21, 25–28; 2. Advent; 04.12.2016

 
Seht auf und erhebt eure Häupter!“ Mit diesen Worten hab ich euch ganz am Anfang begrüßt – es ist der Wochenspruch für diese zweite Adventswoche. Man könnte auch sagen: „Kopf hoch! Kopf hoch und Augen auf! Seht hin! Seht genau hin!“ Darum geht es auch im Predigttext – Luise hat ihn ja vorhin schon gelesen.

 
Seht hin! Das heißt zuallererst: Seht nicht weg – auch wenn es unangenehm ist.
Advent ist ja auch die Zeit des Wegsehens. Da verschließen wir gern die Augen vor Krisen und Katastrophen. Wenigstens in diesen Vorweihnachtswochen wollen wir lieber keine Probleme! Die haben wir das ganze Jahr über. Jetzt wollen wir lieber die Lichterketten in den Geschäften glitzern sehen. Wollen auf dem Weihnachtsmarkt in Ruhe unseren Glühwein
trinken und nichts von Ertrinkenden im Mittelmeer hören. Wollen uns an unsere Kindertage erinnern und nicht an Kinderbilder aus den Katastrophen- und Dürregebieten dieser Erde. Alle fünf Sekunden stirbt ein Kind, weil es nicht genug zu essen hat! In der Zeit, in der ich das jetzt gerade gesagt habe, schon wieder eins. Und jetzt schon wieder eines!
Jetzt im Advent soll uns der Duft von Lebkuchen und lecker Bratwurst in die Nase steigen und bei Kerzenschein wollen wir den drohenden Klimawandel vergessen.
Das mag wohl alles ein bisschen hart klingen, so wie ich das sage – aber ich selber ertappe mich dabei, dass ich so denke und mich so verhalte. Dass ich lieber wegsehe als hinschaue. Aber da kommt uns heute der Predigttext in die Quere und verdirbt uns die Vorweihnachtsfreude. Stört unsere adventliche Besinnlichkeit und sagt: Augen auf! Seht nicht weg! Seht hin! Seht genau hin! Da gibt es Zeichen, die gedeutet werden wollen. Vorzeichen von dem, was kommt. Seht genau hin:  „Es werden Zeichen geschehen an Sonne und Mond und Sternen, und auf Erden wird den Völkern bange sein, und sie werden verzagen vor dem Brausen und Wogen des Meeres, und die Menschen werden vergehen vor Furcht und in Erwartung der Dinge, die kommen sollen über die ganze Erde; denn die Kräfte der Himmel werden ins Wanken kommen“.

 
Schon 2000 Jahre sind diese Worte alt. Trotzdem klingen sie, als wären sie heute ge-
sprochen. Wie das, was uns die Medien tagtäglich vor Augen führen. Zeichen an Sonne, Mond und Sternen – wir nennen sie Ozonloch und Erderwärmung. Brausen und Wogen des Meeres: Naturgewalten, die uns Angst einjagen. Das Ansteigen der Meeresspiegel. Die Erdbeben in Italien. Der Tsunami in Japan.  Menschen in Furcht vor den Dingen, die kommen sollen: ganze Städte in Syrien werden zu Massengräbern. Und hier bei uns Ratlosigkeit bei so vielen Problemen in unserem Land. Der Kollaps unseres Gesundheits- und Pflegesystems. Egal wie - die Kräfte des Himmels und der Erde scheinen tatsächlich bedrohlich ins Wanken gekommen zu sein. Wir wissen es. Kennen unseren Anteil daran. Und gleichzeitig spüren wir, wie machtlos wir sind. Und ich glaube, dass wir darum einfach oft nicht mehr hinkucken mögen – weil wir ja doch nichts tun können.  Und heute hören wir: Doch! „Augen auf!“ ruft unser Predigttext. Seht hin, seht genau hin!

 
Aber was tun mit dem, was wir da sehen? Alles, was wir sehen, will gedeutet werden. Und es ist immer mehrdeutig. Die Welt an sich gibt es nicht. Es gibt immer nur die durch eine bestimmte Brille angeschaute Welt. Darum reden wir von Weltanschauungen. Eine Weltanschauung ist eine bestimmte Deutung der Welt. Und je nach der Brille, durch die wir schauen, kann diese Deutung pessimistisch oder optimistisch eingefärbt sein. Ist das berühmte Glas Wasser nun halb leer oder halb voll?
Und je nach dem, wie wir etwas sehen und deuten, kann uns das entweder anspornen, dass wir etwas tun – oder dass wir die Hände resigniert in den Schoß legen. Es kommt darauf an, wie wir das, was wir sehen, beurteilen und deuten.  Wenn im Auto beim Fahren die Reserveanzeige für’s Benzin angeht, dann kann ich entweder denken: oh, ich kann noch ungefähr 100 Kilometer fahren – irgendwo wird schon ’ne Tankstelle kommen!  Oder ich deute das Leuchten der Reserveanzeige anders: Oh, nun wird’s Zeit, dass ich an die nächste Tankstelle fahre, ich muss nötig tanken.  Ihr versteht sicher, was ich meine: ein- und dasselbe Zeichen kann man unterschiedlich deuten. Eine junge Frau erzählte mir vor’n paar Tagen, dass sie auf ihrer Arbeitsstelle immer dann gerufen wird, wenn schwierige Kunden da sind. Das nervt sie und sie dachte: mein Chef will mich damit nur quälen, dass er mir die Meckerköppe aufhalst. Ich hab dann gar nicht viel dazu gesagt, nur ungefähr so: ‚Kann es sein, dass dein Chef gemerkt hat, dass du besonders gut mit solchen speziellen Kunden umgehen kannst und dass er dir das besser zutraut als jemand anders?‘  Und ich merkte, dass diese junge Frau anfing, ihre Blickrichtung zu ändern.

 
Liebe Gemeinde, ist diese Welt nun schön - oder ist sie schrecklich? Ist das Leben nun schön – oder ist es schrecklich? Das ist nicht nur, aber auch ein Frage unserer Blickrichtung. Und hier kommt unser Glaube ins Spiel. Denn Glauben heißt: die Welt mit den Augen Gottes sehen. Sie aus der Perspektive Gottes deuten. Im Umdeuten der sogenannten Realität
können Chaos-Zeichen zu Hoffnungs-zeichen werden. Resignation weicht neuem Lebensmut. Da wird der Blick frei nach vorn.  So wie in unserem Predigttext. Habt ihr die Umdeutung Jesu noch im Ohr? Nachdem er die Schreckenszeichen an die Wand gemalt hat, sagt er plötzlich: Wenn aber dieses an-fängt zu geschehen, dann seht nicht weg!
Zieht den Kopf nicht ein! Verkriecht euch nicht! Nein, wenn aber dieses anfängt zu geschehen, dann seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht! Kopf hoch!

 
Das Leben ist schön – trotz allem! Weil sich unsere Erlösung naht. Weil uns der erlösende, auch unseren Blick erlösende Gott in Jesus nahe kommt!  Das ist nicht dumm und realitätsfern dahergeplappert. Das ist die Brille des Evangeliums, die uns Jesus auf die Nase setzt. Wir gehen nicht erhobenen Hauptes in die Katastrophe oder ins Nichts. Wir warten nicht darauf, dass die Erde im Chaos versinkt. Wir warten auf das Kommen unseres Herrn Jesus Christus und auf die Gerechtigkeit Gottes. Mögen sich die Chaosmächte aufspielen, wie sie wollen – sie werden der Macht des Reiches Gottes weichen müssen. Der ehemalige Bundespräsident Gustav Heinemann hat einmal gesagt: „Die Herren dieser Welt gehen – unser Herr kommt“.  Und er hat damit gemeint: Gott gibt seine Welt nicht aus der Hand. Glauben heißt, die Deutung des Lebens und der Welt durch  Jesus übernehmen. Dann wird das Bedrohliche durchlässig für Gott. „Dann wird das Bedrohliche durchlässig für Gott“ – wenn ich das so sage, dann klingt das ziemlich theoretisch. Aber was das bedeutet, das haben allein in diesem Jahr Menschen unserer Gemeinde erlebt. Da war einer in der Mitte des Lebens, der austherapiert war – alles ärztliche Können war vergebens und es ging ans Abschiednehmen. Und trotzdem ging von ihm und seinen Angehörigen eine Haltung aus, die tiefen Frieden ausstrahlte. Und ich muss an einen anderen denken – auch schwer krank. Und in dieser Phase wendet er sich der Gemeinde und dem Glauben so intensiv zu, wie er es früher nicht für möglich gehalten hatte. Und er spürt, wie gut ihm das tut!
So etwas ist gemeint, wenn ich sage: das Bedrohliche wird durchlässig für Gott!
Nicht um billigen Optimismus geht es dabei. Nicht um Schönfärberei. Der Glaube rechnet realistisch damit, dass diese Welt vergehen wird: Himmel und Erde werden vergehen, sagt Jesus, und wir werden auch vergehen. Und das wird begleitet werden von Katastrophen. Aber alles Bedrohliche kann die Welt nicht daran hindern, einmal in Gott hineinzufallen – und nicht ins Nichts. Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte vergehen nicht. Am Anfang war das Wort. Und am Ende ist das Wort. Das letzte Wort über diese Welt hat Gott. Und es wird ein gutes Wort sein. Darum: Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.
Die Umdeutung der Welt im Glauben rechtfertigt nicht bestehende Missstände und Verhältnisse. Aber sie traut Gottes Verheißungen mehr zu als den sogenannten Realitäten.
Der Glaube befreit unser Handeln vom übertriebenen Druck, als ob alles von uns abhinge. Bewahrt es vor ohnmächtiger Wut über die häufig erlebte Wirkungslosigkeit unseres Tuns. Weil der Glaube Gott Gutes zutraut, begnügt er sich nicht mit dem Jammern über die schlechte Welt, sondern hat noch Energie frei, die kleinen, möglichen Schritte zu gehen, um die Welt wenigstens ein bisschen besser zu machen. Im Glauben behalten wir einen langen Atem.
Da haben sich zwei Wanderer im Wald verlaufen. Stundenlang sind sie schon unterwegs. Inzwischen ist es Nacht geworden. Und es stürmt und regnet. Die beiden haben das Gefühl, sich immer nur im Kreis zu drehen. Plötzlich lässt sich der eine erschöpft zu Boden fallen: ‚Ich kann nicht mehr‘, sagt er total entkräftet. ‚Wir finden hier nicht mehr raus‘. Der andere scheint dagegen gerade wieder neue Kraft getankt zu haben. ‚Woher nimmst du die?‘, fragt ihn sein Freund. ‚Du siehst plötzlich so frisch aus, als wärst du erst eine Stunde gelaufen!‘ Darauf der andere: ‚Ich habe gerade zwischen den Bäumen ein Schild entdeckt: Gasthaus zum Löwen. 1 Kilometer. Geöffnet‘.  Ein Zeichen am Wegrand. Ein Hoffnungszeichen mitten in der Aussichtslosigkeit. Und plötzlich kommen die Kräfte zurück. Ihr wisst es – Ulrike und ich sind Mosel-Fans. Und immer, wenn wir da sind, gehen wir durch die Weinberge. Alle paar hundert Meter stehen Kreuze im Weinberg. Sie sollen die Menschen bei ihrer täglichen Arbeit an das erinnern, worauf unser Leben wirklich ruht.  Ein Kreuz am Wegrand. Gott hat es für uns zu Ostern umgedeutet in ein Hoffnungszeichen. Darum: Kopf hoch! Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.  Amen.

 
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